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Karl Stern

Nachname:
Stern
Vorname:
Karl
geboren:
1917-05-17
Zugehörigkeit:
NordtirolerIn
letze Änderung:
Wed Nov 04 13:58:24 UTC 2020
Biographie
Karl Stern kommt 11. Mai 1917 in Neustift zur Welt, inmitten eines der schönsten Hochgebirgstäler Tirols, mitten im Ersten Weltkrieg. Auf dem Bauernhof, wie alle seine Geschwister. Im ganzen Stubaital gibt es nur einen Arzt, etwa zwölf Kilometer von Neustift entfernt. Ein langer Fußmarsch, wenn’s eilt. Doch die Familie Stern besitzt auf ihrem großen Bauernhof auch Pferde. Geld freilich ist nie viel vorhanden. Zur Familie zählt man auch die Knechte. „Heute“, sagt Karl Stern, „würde man sie als Mitarbeiter bezeichnen. Mir waren sie Vorbild. Ich wollte es ihnen gleichtun.“ Allerdings lehren sie ihn so manchen Unsinn: „Dass alle Weiber, ausgenommen meiner Mutter, schiach, bes und falsch sein und stink'n.“ Jahrelang ist er überzeugt, ob Mädchen oder Frauen, sie sind hässlich, böse und riechen schlecht. Zu Karls frühesten Kindheitserinnerungen gehört der Einzug der neuen Glocken. Der Vater ist Bürgermeister nach dem Ersten Weltkrieg. In Neustift mangelt es an vielem. Vor allem aber fehlen der zweitgrößten Pfarrkirche Tirols die Glocken. Bereits im Ersten Weltkrieg widerfuhr ihnen das Schicksal fast aller Kirchenglocken, zu Kanonen umgeschmolzen Tod und Verderben zu bringen. Die Gemeinde einigt sich, mit dem Erlös von Holz aus dem Gemeindewald neue Glocken zu kaufen, gegossen werden sie in der Glockengießerei Graßmayr in Innsbruck. Von geschmückten Rössern gezogen, thronen die neuen Glocken auf den Wagen unter Triumphbögen aus Tannenzweigen. Ein Festtag für das ganze Stubaital. Mit fünf Jahren muss Karl bereits Kühe und Ziegen hüten. Der Senner droht ihm, falls er nicht richtig auf die Tiere aufpasse, risse er ihm die Ohren aus. Das Ohrenausreißen wird ihm übrigens auch von den „Weibern“ angedroht. Weil der Bub, wenn er das Wasser für die Knechte und Mägde zu den Feldern bringt, das Trinkwasser zuerst den Männern anbietet. Die Frauen aber ekelt es zu trinken, nachdem die Männer ihren verschwitzten und fettigen Oberlippenbart ins Wasser getaucht hatten. Karls Welt ist noch sauber, es gibt nichts zum Wegwerfen. Der Vater ist streng, jedoch sehr gebildet und gütig, viel zu gütig zu anderen. Da gerät er öfter in die Klemme, stürzt ins Unglück und hat Geldsorgen. Wenn die Ruetz, der Gebirgsbach durchs Stubaital, nach heftigem Regen die Felder überschwemmt, ist wegen der örtlichen Lage des Bauernhofes auch die Familie Stern betroffen. Ohne Wildbachverbauung und natürlich auch keine Hilfe vom Land, muss sich jeder selbst helfen. Aber jedes Ding hat zwei Seiten. Der Gletscherbach versandet zwar die Felder, doch die Kinder brauchten nur die Forellen vom Feld aufzuklauben. Karl findet, er hätte manches gehabt, was die Jugend vielleicht mehr vergnügte als heute. Für Spielsachen braucht es nichts als Phantasie. Einen Tannenzapfen versehen sie mit vier Beinchen, zwei Hörnern und einen Schweif, und wenn es ein Stier sein sollte, haben sie ihm etwas unter den Bauch geschoben. Und das ist das Höchste, fast schon verboten! Die Kinder wissen zwar, was ein Stier braucht, darüber reden darf man jedoch nicht. 1923 kommt er in die Schule. „Unsere Lehrerin war eine Ordensschwester, hätte aber auch beim Militär eine gute Figur gemacht,“ erzählt er. Erst im dritten Schuljahr gibt es eine männliche Lehrperson, was Karl sehr recht ist. Die Großen kann er nicht verstehen. Denn als Bub erledigt man Probleme prompt mit kurzem Schlagabtausch. Der praktische Unterricht des Lehrers weckt vermutlich Karls Wunsch, Förster zu werden. Zum Beispiel, wie man die Festmeter eines Baumes berechnet. Die Ludolfsche Zahl, versucht er sich später an die Formel zu erinnern, die hat ihn fasziniert. Die Schulzeit vergeht zu schnell. Karls Freiheit wird, wie er sagt, „von der Heumaß geregelt“. Also, mithelfen auf den Bauernhof, alles andere ginge nicht. Das Vieh nach Fulpmes zu treiben, wo es an den Metzger verkauft wird, bringt er kaum fertig. „Da hat mir das Vieh so derbarmt.“ Denn sie merken es, wenn man sie ins Schlachthaus hineinführt. Karl denkt sich, diese Kuh hat so lang Milch gegeben und ist ein liebes Vieh gewesen, und jetzt wird sie noch aufgegessn. Das erste Mal mit Asphalt in Berührung kommt er mit 17 Jahren auf dem Weg nach Innsbruck. Da ist man über den Schönberg marschiert, auf der 1845 erbauten Brennerstraße. „Die Autobahn is sehr viel spater kemmen.“ Karl stampft fest mit den Bergschuhen auf den Asphalt, ob das wirklich etwas Hartes ist, auf dem man gehen könne. Im Jahr 1938 verschärfen sich die politischen Unruhen. Karl erzählt von den ersten Tränen des Vaters. Es folgt die Wehrpflicht der Jahrgänge 1916/17. Zuerst von den Österreichern einberufen, soll Karl am 1. April 1938 einrücken. Aber am 13. März wird Österreich von den deutschen Truppen besetzt, und erneute Musterung der Jahrgänge. Doch nur zwei von den 16 Burschen sind tauglich. „Hellauf, wir Tauglichen!“, rufen sie. Es dauert nicht lang, bis er sich denkt: „Na, i schreiat nie mehr.“(Nein, ich würde nie mehr schreien!) Bei den Deutschen hieß es: zur Marine. Karl protestiert, er wäre am Gletscherbach aufgewachsen, er könne nicht schwimmen. Resultat: Karl kommt zur Luftwaffe. Das beschert ihm zwar den Titel „Flieger“, jedoch auch jede Menge Scherereien. Unvorstellbar, als Bordschütze auf jemand zu schießen, der ihm nichts Böses getan hat! Er freut sich, bei der Wehrmacht auf Tiroler zu stoßen, nicht immer jedoch lohnt sich die Begegnung für den arglosen Karl. Das soll sich ändern. Er will möglichst bald einen höheren Rang, als Soldat wird man ja nur schikaniert. In München einquartiert beim Flughafen in einer neuen Kaserne, lernt er im Leseraum. Am Samstag ist er allein, die Kameraden stammen aus Bayern und können heimfahren. Karl trägt statt der Montur einen roten Pullover, was dem Feldwebel - „a recht a Schreier“ - zu einem Wutanfall veranlasst. Karl Stern bittet ums Wort. Das wird ihm gestattet. Karl erklärt, er käme von einem hintersten Tal heraus, „da rinnt der Gletscherbach obi.“ Mit Steigeisen habe man dort gearbeitet. Dann sei er hierher versetzt worden, und die Kommandos des Feldwebels gefielen ihm, da wüsste man sofort, wie man dran wäre. Ein lobendes Wort dürfte der Feldwebel noch nie gehört haben. Noch in der Nacht setzt er mit Karl ein Ansuchen um Beförderung auf. 1943 darf Karl nach Hause, auf Urlaub aus Russland nach Neustift. Gleich nebenbei hat die Waffen-SS eine Hochgebirgsschule. Er wundert sich dass die Mutter so viele Butterbrote macht, ein ganzes Brett voll. Das wäre für die Männer da bei der Telefonleitung. Karl ist entsetzt, Butterbrote für die Waffen-SS. „Irgendwo in der Welt werdn a meine Buam eppas kriagn“, sagt sie voll Gottvertauen, dass auch ihre Buben etwas bekommen werden, da draußen in der Welt. „Im Eck unter der Stiege ist sie gestanden, hat gebetet und nach allen Himmelsrichtungen ein Kreuz gemacht.“ In Russland ist der Rückzug voll im Gang. Karl muss den Urlaub unterbrechen. Er weint, nimmt die Mutter in die Arme. Zuerst, als er nach Hause kam, hat er es nicht gewagt, weil zu viele Leute dabei waren. Er dachte, jetzt siehst du die Mutter das letzte Mal. Und eine Russin ? eine russische Mamutschka ist auch gut zu ihm. Er haust bei ihr, sie entlaust ihn, wäscht sein Hemd ... „die Waschung war am Mius.“ Sie geht zum Fluss, haut ordentlich mit einem Brett aufs Hemd. Das ist sauber, bloß die Knöpfe sind kaputt. Entlang des Flusses Mius verläuft eine Verteidigungslinie der Wehrmacht mit ausgebauten Stellungen und Drahthindernissen. Das Gelände ist fast ausschließlich von hohen Gras- und Kornfeldern bewachsen. Kaum Höhenunterschiede im flachen Terrain, nur wenige Ortschaften. In einer davon steht die Lehmhütte der „Mamuschka“. Während der Donez-Mius-Offensive Ende 1941 und im Sommer 1943 können die Truppen der Roten Armee noch gestoppt werden. Allerdings stößt die Rote Armee auf der breiten Front 60 bis 80 Kilometer weit vor und verhindert den deutschen Durchbruch zum Kaukasus. Die Wehrmacht verliert 20.000 Mann, es könnten auch rund 10.000 Tote mehr gewesen sein. Karl Stein ist nicht dabei. Ohne Erzählungen der Zeitzeugen wären selbst ihren Nachkommen viele Erinnerungen verlorengegangen. Auch Karl Stern denkt lieber an Momente, über die er später zu lachen vermag. Manches, etwa die Zeit seiner langen Kriegsgefangenschaft, bleibt sein persönlicher Albtraum. Er meint, er hätte viel Glück gehabt zum Schluss. In Ostpreußen, wo sie den Ostwall bauen wollen, schießen die Russen seinen Lastwagen in Brand. Dann ist er noch nach dem Westen gekommen. Und dann steht er da, ist 28 Jahre, für ihn hat der „Spuk“ sehr lang gedauert. Ja, was jetzt? Für alles andere ist er zu alt. Karl Stern geht zum Zoll, kommt ins äußerste Tannheimertal an der Grenze zu Vorarlberg, vor allem erreicht man über Pässe auch Deutschland. Trotz Verständigungsschwierigkeiten - „die haben einen ganz anderen Dialekt gehabt“ - ist er gern im Tannheimertal. Einmal fährt er mit einem Kollegen aus Fulpmes auf Urlaub ins „Stubai“. Um den Zug um 6 Uhr Früh in Reutte zu erreichen, müssen sie um 10 Uhr abends losgehen - kein Spaziergang über den Gaichtpass! Todmüde sind sie, auch von dem Urlaub ein bisschen enttäuscht. „Einmal und nie wieder fahren wir da in Urlaub,“ schwören sie sich. Anschließend beim Zoll in Kufstein an der Grenze zu Bayern, genießt er das Leben im Unterland. Dort findet er seine zukünftige Frau. Er stellt sie seinem Vater in Neustift vor, das Fräulein Aschat, man ist noch per Sie. In den Stubaier Alpen auf dem Habicht gibt sie ihm das Jawort. Da führt ein Tiroler eine junge Frau auf einen über dreitausend Meter hohen Berg, um ihr dort einen Heiratsantrag zu machen. Drei Wochen später besuchen die beiden als Ehepaar den Vater von Karl. Das hätte er ihm schon sagen sollen, meint der Vater. Aber da hätte er es noch nicht gewusst, lacht Karl. 1948 dürfte es gewesen sein, als er nach Obergurgl im Ötztal kommt, wo es übers Timmelsjoch nach Südtirol geht. Oder man unternimmt von Obergurgel aus eine Gletscherwanderung über den Rotmoosferner und das Rotmoosjoch zur Zwickauerhütte in Südtirol (Italien). Die Hütte spielt mehrfach eine Rolle bei Konflikten, besonders mit der Finanzwacht, der Guardia di Finanza, besetzt mit einem Drei-Sterne-General des Heeres. Karl Stern schildert, wie er auf dem Rotmoosferner einen deutschen Sommerfrischler zum Spaß vor nicht vorhandenen Gletscherspalten rettet. Beim Zoll landet er zu guter Letzt bei der Autobahn, macht viel Nachtdienst und verdient besser. Natürlich protestiert seine Frau, dass sie fast jede Nacht allein ist. Wie er bereits sagte, Karl Stern wäre sehr gern Förster geworden. Das kann er dann in Brandenberg nachholen, wo sich die Familie Stern ein Heim baut. Allerdings wünschen sie sich schöne Bretter, Lärchenbretter. Karl, nebenbei bei der Forstverwaltung beschäftigt, will den Forstmeister nicht fragen. Er findet ihn zu hochnäsig, „der war damals zwoahundert Jahr z’spat auf die Welt kommen“ - um zweihundert Jahre zu spät. Karl schickt lieber seine Frau zur Forstverwaltung. Was sie wünsche, wird sie gefragt. Ein schönes Lärchenholz, erwidert sie. Darauf erkundigt sich der Forstmeister nach ihrem Angebot, obwohl das Holz einen festen Preis haben müsste. „Möglichst wenig,“ bekommt er zur Antwort. Karl Stern starb am 22. Juli 2010. Er sprach ungern vom Krieg, doch immer kehrten die Gedanken zurück. Manches verschwieg er. Das war sein gutes Recht. Unvergessen bleibt die Fronleichnamsprozession, einst in Neustift: „Das Festtagskleid von den Mädchen streifte uns, und es löste in mir einen ganz einen eigenen Zauber aus. Konnte das nicht deuten. Fragen mochte ich auch niemanden.“Anju